Tamara Garnatz - ezetta, Juni 2002

Berliner Tageszeitungen unter der Lupe

Die Berliner Presselandschaft ist vielgestaltig wie die Berliner Bevölkerung. Neben internationaler und überregionaler Presse bietet die Hauptstadt viel Information aus lokalen Zeitungsverlagen. Für Neu-Berliner nicht immer ganz einfach.

Seit einem halben Jahr wohne ich in Berlin und immer noch bin ich nicht ganz sicher, ob ich die richtige Tageszeitung abonniert habe. Zunächst war mir unklar, wie viele Berliner Tageszeitungen es überhaupt gibt und welches Meinungsprofil sie vertreten. Nach einer kurzen Umfrage kam ich zum Ergebnis, dass insgesamt acht Berliner Tageszeitungen im Umlauf sind:

·  Berliner Morgenpost
·  Berliner Zeitung
·  Tagesspiegel
·  taz-Berlin - die tageszeitung
·  Berliner Kurier
·  B.Z.
·  Neues Deutschland
·  junge Welt - Die Tageszeitung.

Ich startete einen Vergleich. Zusammen mit vier Leuten begann ich im Internet zu recherchieren. Wir konzentrierten uns auf die Online-Ausgaben und wählten ein geeignetes Berliner Thema, die rot-rote Koalition. Innerhalb eines Zeitrahmens von zwei bis drei Tagen trugen wir relevante Daten zusammen. Hier unser Ergebnis: Wie häufig steht Rot-Rot in der Berliner Presse? Die Berliner Morgenpost, die Berliner Zeitung, der Tagesspiegel und die taz-Berlin - die tageszeitung berichten und informieren regelmäßig über die rot-rote Koalition. Der Berliner Kurier und die B.Z. schnitten am schlechtesten ab, diese Zeitungen liefern fast gar keine politischen Berichte und wenn, dann nur sehr kurze. Im Berliner Kurier fanden wir nur sehr wenig über das Rot-Rot-Bündnis, in der B.Z. während unseres Beobachtungszeitraum überhaupt nichts zu diesem Thema. Neues Deutschland und junge Welt - Die Tageszeitung veröffentlichten sehr wenige Artikel über die rot-rote Koalition, dafür aber immer sehr lange und ausführliche.


Wo sind die Unterschiede in Stil, Sprache und Leserschaft?

Die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel berichten neutral, sachlich, unabhängig und ausgewogen, ihre Sprache entspricht der großen Mehrheit ihrer Mittelschichtleser. Beide liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen an der Spitze. Die taz-Berlin richtet sich an eine jüngere Zielgruppe, an Leser, die eher einen locker-freien Stil bevorzugen. Politisch zwar unabhängig, tendenziell jedoch links bis grün-alternativ. Richtig konservative Menschen lesen sicher die Berliner Morgenpost, die bürgerliche Mittelschicht gerade in den westlichen Bezirken hat häufig das Blatt aus dem Hause Springer abonniert. Der Berliner Kurier und die B.Z. schreiben eher Boulevard, der große Aufmacher und die reißerische Story verkaufen sich ja auch sehr gut, ein hoher Bildanteil sorgt dabei für visuelle Abwechslung. Neues Deutschland und junge Welt - Die Tageszeitung sind ehemalige "Ost"-Tageszeitungen und haben überwiegend Leser im Ostteil Berlins. Sie stehen meist der PDS nah. Die Junge Welt - Die Tageszeitung wird überwiegend von der jüngeren Generation gelesen und Neues Deutschland von der älteren, beide stehen links und der Wiedervereinigung Deutschlands kritisch gegenüber. Über die PDS wird meist positiv berichtet.


Collage, Tamara Garnatz


Meine Kommentare

Mir persönlich sagen Inhalt und Stil von Tagesspiegel und der taz-Berlin - Die Tageszeitung am meisten zu. Die Berliner Morgenpost ist zwar auch interessant, umfangreich und übersichtlich, aber sie trifft nicht so sehr meinen Tonfall und mein Lebensgefühl. Aber in Berlin ist ja für jeden das Richtige dabei.


taz-Berlin - die tageszeitung

"Die taz-Berlin - die tageszeitung hat ihren eigenen individuellen, modern offenen und legeren Stil. Die Artikel lesen sich ziemlich amüsant. Meiner Meinung nach könnte die taz bei manchen Themen ruhig etwas angepasster bleiben, zumindest in Bezug auf die Beschreibung einzelner Politiker. Manche Leser könnten sonst einen falschen Eindruck von ihnen erhalten und denken, es sind die Politiker, die sich so locker geben. Über die rot-rote Koalition stehen hier viele und umfangreiche Informationen drin, wie sie auch in den "klassischen" Tageszeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel enthalten sind. Sonst ist die taz neutral und zielt nicht bevorzugt auf eine bestimmte Partei."


junge Welt - Die Tageszeitung

"Bei junge Welt - Die Tageszeitung, ist eindeutig zu erkennen, dass sie Gregor Gysi sehr verehren, ich finde dies übertrieben. Ich werde wohl kaum zu dieser Tageszeitung täglich greifen, die von vorneherein stets die PDS positiv in den Vordergrund schiebt. Sonst schreibt junge Welt eher lässig in modern-lockeren Stil, die die junge Leserschaft bewußt anspricht.


Kommentare aus meinem Bekanntenkreis

Berliner Morgenpost

"Die Artikelserie ist sehr umfangreich für das Thema (=rot-rote Koalition). Alle Senatsmitglieder werden nach dem gleichen Schema beurteilt und kritisiert. Fazit ist immer, sie seien gescheitert in ihrer Politik. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die konservative Berliner Morgenpost ihre Opposition zur SPD-Regierung und ihre Sympathie für die CDU/CSU damit zum Ausdruck bringt. Wahlkampfhilfe für die Bundestagswahl im September ist hier nicht ausgeschlossen."
Bettina Gutierrez

"Insgesamt fand ich die Artikel subjektiv, die Berichterstatter haben zu viel von ihrer eigenen Meinung preisgegeben und zu wenig Fakten zu den eigentlichen Themen rübergebracht."
Andrea Temesvari


Berliner Zeitung

"Die Berliner Zeitung schreibt wie auch manch andere Berliner Tageszeitung, so die Berliner Morgenpost oder der Tagesspiegel, sehr viel über die rot-rote Koalition. Es ist in diesen Artikeln viel Skepsis zu dem Bündnis Rot-Rot zu erkennen. Auch über die Auswirkungen dieses Bündnisses auf andere Bundesländer, zum Beispiel nach dem Wahlsieg der CDU in Sachsen-Anhalt. Es wird auch viel über die finanzielle Instabilität sowie die Kürzung staatlicher Ausgaben für Theater, Stadtreinigung und andere Bereiche geschrieben. Ich finde, dass die Berliner Zeitung umfangreich und detailliert über die rot-rote Koalition berichtet."
Rebecca Osei

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